wood ’n’ stones

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Unterwegs am Bosporus Geschichten aus Istanbul

Probeunterricht

In einer Facebook-Gruppe für Erasmusstudenten in Istanbul lese ich von kostenlosen Probestunden bei der Sprachschule „Naber“. Nur noch diesen Freitag ab 5 und ab 6 Uhr. Ich navigiere mich mit Google Maps um kurz vor sechs durch Cihangir. Neben einem Hauseingang hängt ein kleines orangenes Schild: „Naber“. Ich gehe in den dritten Stock und klingel an der Tür. Keine Reaktion. Ich klingel noch einmal. Nichts. Dann warte ich. Um fünf nach 6 kommen zwei junge Frauen aus dem Fahrstuhl. „Merhaba“, grüße ich. „Hi! Nice to meet you“, sagen sie und öffnen die Tür zur Sprachschule. „Ehm, am I right for the free demo lesson?“, frage ich vorsichtig. „Yes, of course. There was no one at 5 o’clock and we thought no one would come at 6. So we went to the market. But nice that you are here!“, erklärt mir eine der beiden. Außer mir kommt auch keiner mehr. In Istanbul. „Okay, I will prepare cay. But first get in the class room for the demo lesson“, sagt sie. Und dann findet ernsthaft die „free demo lesson“ statt. 60 Minuten Einzelunterricht auf Türkisch. An einem Freitag Abend. Danach gibt es aber Tee.


Retro

Auf der Suche nach einem Restaurant laufen Tim und ich nachmittags durch eine überdachte Seitenstraße. Plötzlich führt links eine Treppe nach unten. Außen steht ein Schild: „Retro“. Na gut, schauen wir uns mal an. Wir steigen hinab. Unten hängen Unmengen von Kleidern, Mänteln und Sakkos. Über mehrere Gänge ergibt sich ein wahres Paradies für Fans von alten Klamotten. Die Lampen geben nur schwaches Licht, aus den Lautsprechern kommt der Gesang eines Kinderchors. Eine Verkäuferin fragt uns, ob sie weiterhelfen kann. Sie trägt eine schwarze Sonnenbrille und riecht nach Terre D’Hermes. Wir danken, schauen uns aber erst einmal um. Und finden im dritten Gang ein graues Jackett mit einem Aufnäher des „Wardenburger Schützenvereins“. Wir kaufen es nicht.


Football is looking

Trotz Regens fahren Markus, Giovanni und ich Samstag Mittag an den Stadtrand Istanbuls, um mit Ismail und seinen türkischen Kommilitonen auf dem Uni-Kunstrasenplatz zu kicken. 7 gegen 7 auf Kleinfeld. Nach zwanzig Minuten gehe ich in einen Zweikampf mit dem gegnerischen Stürmer. Leider knickt dieser unglücklich um und muss ins Krankenhaus. Guter erster Eindruck der Erasmus-Studenten. Ein Türke fährt mit ihm mit. Daher spielen wir dann nur noch 6 gegen 6.

Und ich habe in meiner Kreisliga-Karriere schon mit vielen egoistischen ballverliebten Jungs zusammengespielt. Aber die zwei Türken, die unser Erasmus-Team komplettieren, übertreffen alle. Da wird nicht mal hochgeguckt. Nur rein ins Dribbling und alleine aufs Tor. Und das trotz begrenzter fußballerischer Fähigkeiten. „Paaaass! Paaaaass the baaaal!“, ruft Giovanni. Ohne Erfolg. Unser türkischer Torwart bemerkt unsere Unzufriedenheit: „Yes, that’s the problem with Turkish Football players. Always alone. No passing.“ Ich denke mir, na gut, wir sind ja das erste Mal dabei, passt schon. Nicht so Giovanni. In einer Spielunterbrechung schnappt sich der Italiener einen der Türken: „Football is looking! Paaaaass! We are one team! You go always alone!“ Der Türke ist nicht sehr kritikfähig und winkt genervt ab. Giovanni gibt aber nicht auf: „No, look, look.“ Ein Bild für die Götter, wie er dann versucht, dem uninteressierten Türken mit Körpersprache den Fußball zu erklären. Erfolg hat er nicht. Eine Minute später rennt der Türke wieder in zwei Abwehrspieler rein. „Mamma Mia!“, ruft Giovanni. „Paaaass the ball!“


Wetter

Mein Mitbewohner und ich wollen in der Stadt einen Kaffee trinken. Im Flur zieht er sich noch seine Schuhe an. „Laurenz, how is the weather today? Which jackett?“, fragt er mich. „Hm, we will see when we leave the house“, sage ich. Er lacht. „Nice. You are getting more Turkish. German style would be to have a look from the balcony first.“ Wir gehen die Treppen runter. Draußen scheint die Sonne.


Postkarte

Mein Vater schickt gerne Postkarten. Daher gebe ich ihm meine türkische Adresse. „Do we receive post at home?“, frage ich meinen Mitbewohner. Ja. Für wichtige Briefe gibt es allerdings ein externes Postfach. Warum das sinnvoll ist, merke ich schnell. Zwar hängen im Hausflur kleine Briefkästen, aber jede Sendung landet auf einem kleinen viereckigen Tisch davor. Hier mischen sich Rechnungen mit Immobilienanzeigen und McDonalds-Gutscheinen. Auf einen Brief meiner deutschen Versicherung warte ich etwa einen Monat. Wahrscheinlich liegt er zwischen den Gutscheinen. Doch eines Nachts komme ich gegen zwei Uhr nach Hause. Auf dem Boden im Eingangsflur sehe ich eine vertraute Handschrift. Eine Postkarte von meinem Vater.


Champagner und Candy

Das Angebot zum Ausgehen ist in Istanbul unermesslich. In allen Varianten lässt es sich hier feiern: Deutsche und englische Elektro-DJs legen in kleinen Schuppen auf, während einen Club weiter eine türkische Pop-Band auftritt. Auf dem Weg durch die Straßen ist den Beats von David Guetta kaum zu entgehen und LED-Reklamen werben für die besten Getränkeangebote. Wie kann man sich da als Club noch abgrenzen? Zwei Bars überlegen sich immer wieder neue Mottoparties, um Erasmus-Studenten anzulocken. Nach „TONIGHT!!! Erasmus Pyjama Party – Free Entrance“, „TONIGHT!!! Candy Factory Erasmus Party – Free Entrance“ und „Champagne Showers Erasmus Party“ gab es gestern Abend ein besonderes Schmankerl: „Erasmus Nutella Party by The Best Party Life“. Pyjama, Candy, Champagner und dann auch noch Nutella. Wenn dem Chéz Heinz in Hannover die Ideen ausgehen sollten, findet es in Istanbul genug Anregungen.


Hamam

Martin und Philipp sind aus Hannover zu Besuch. Samstag regnet es. Perfektes Wetter, um die türkische Badekultur kennenzulernen. Also machen wir drei uns auf den Weg zum „Büyük Hamam“ in Kasimpasa. Mitten in einer kleinen Straße mit Cafés erscheint das Eingangstor. Wir gehen rein. Und werden direkt von drei älteren Türken gemustert, die nur mit notdürftig umgebundenen Handtüchern direkt im Eingangsraum sitzen. Wir ziehen uns Badeschlappen an, kriegen Handtücher und werden jeder in eine kleine Umkleidekabine geschoben. Als ich rauskomme, sind Philipp und Martin nicht mehr zu sehen. „Eh, my friends?“, frage ich einen Türken, der dort arbeitet. Englisch versteht er aber nicht. „Arkadaslar?“, versuche ich. Er nickt und führt mich durch zwei Gänge zu einer Sauna. Philipp und Martin sitzen schon hier in ihren Handtüchern und schwitzen. Sehr. Im zentralen Raum aus Marmor begießen wir uns danach mit lauwarmen Wasser. Jeder von uns wird hier von einem Türken abgeholt. Meiner ist etwa sechzig Jahre alt und hat einen wirklich außergewöhnlich prächtigen Bauch, der diesen Namen auch verdient. Mit einem Schwamm wie Schmirgelpapier werde ich von ihm „geschrubbt“. Danach lege ich mich auf den heißen Stein in der Mitte des Hamams, während er zur Seife greift. Es folgt eine kräftige Massage. Da liege ich also in Istanbul und lasse mich von einem älteren Mann im Handtuch ordentlich durchkneten. Ich drehe den Kopf zur Seite. Philipp liegt schräg gegenüber. Wir grinsen uns an. Von Martin ist nichts zu sehen.


Paul

Jeder Erasmusstudent muss einen Termin beim Polizeipräsidium machen, um die Aufenthaltsgenehmigung, Residence Permit, zu bekommen. Man braucht viele verschiedene Dokumente, die zum Beispiel belegen, dass man in der Türkei versichert ist. Morgens um 10 Uhr sitze ich also gegenüber von einem etwa dreißigjährigen Polizisten. Ein wenig angespannt, da es nun in seiner Hand liegt, ob ich die Bürokratie endlich hinter mir lassen kann oder wie einige andere noch einmal herkommen muss. Er blättert mit grimmigen Blick durch meine Papiere. Und zeigt auf meinen Namen: „Laurenz Paul Martin. Long name. Very long.“ – „Yes, but my friends just call me Laurenz.“ Er versteht kein Englisch, also misslingt die Konversation. Ihm gefällt allerdings der Name „Paul“ besser als Laurenz. So ruft er zwei Mal laut „Paul“ durch den Raum und guckt mich dann ernst an. „Your documents, Paul…“ – „Yes?“ – „Paul… very good. Number one“, sagt er und zeigt mit dem Daumen nach oben. Er stempelt die Papiere und ich habe meine Residence Preit.


Ständchen

Mein Mitbewohner hat über die letzten zwei Monate ein Theaterstück inszeniert. Ich fahre zur Premiere auf die asiatische Seite. Während des Stücks verstehe ich zwar relativ wenig, aber interessant ist es trotzdem. Danach gehen wir noch essen in Kadiköy. Um zwölf hat er Geburtstag. Weil wir aber beide müde sind, steigen wir um viertel vor zwölf in den Dolmus, ein Sammeltaxi, das uns auf die europäische Seite fährt. Um kurz vor zwölf frage ich die vier englischen Touristinnen auf der Rückbank, ob sie ein kleines Ständchen mitsingen würden. „Yes.“ Also singen wir um zwölf Uhr laut „Happy Birthday“ im sonst stillen Dolmus. Der bereits eingenickte Türke neben mir wacht erschreckt auf und guckt mich irritiert an. Beim abschließenden Geburtstagsapplaus klatscht er dann sogar zaghaft mit.


Ostern

Es ist Ostern. Keinen einzigen goldenen Lindt-Hasen gibt es in der Stadt, kein feierliches Glockenläuten am Morgen. Charlotte hat dennoch zum Osterfrühstück auf ihre Dachterrasse eingeladen. Wir sitzen auf Decken um ein großes Buffet. In der Ferne sind die Hagia Sophia und die Sultanahmet-Moschee zu sehen. Christophs Eltern haben ihm Lebensmittelfarbe mitgebracht, sodass einige bunte Eier zwischen Sesamringen, Paprika und Menemen liegen. Markus und ich schlagen ein blaues gegen ein rotes Ei, während der Ruf des Muezzins beginnt. Das rote hat zuerst eine Delle.