wood ’n’ stones

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Unterwegs am Bosporus Geschichten aus Istanbul

Safranbolu

An meinem letzten Tag in Istanbul gehe ich noch ein Mal zu meinem Stammorangensaftladen. Dies ist mein letzter, sage ich zum türkischen Verkäufer, der mir fast jeden Tag im vergangenen halben Jahr einen frisch gepressten Orangensaft verkauft hat. Er schaut mitleidig und nimmt einen Notizzettel vom Stapel. „Safranbolu, Karabük, Kalif Caddesi 56, Hamdi“ schreibt er. Wann immer ich mal in Safranbolu bin, soll ich dorthin gehen. „Hamdi, my name“, sagt er lächelnd. Ich frage ihn nach seiner Mail. Er schüttelt den Kopf. Internet nutzt er nicht. Immerhin schreibt er noch seine Telefonnummer unter die Adresse. Eigentlich reicht es aber, wenn ich nach Safranbolu gehe, dort klingel und seinen Namen sage. Dann habe ich dort einen Platz zum Wohnen, meint er. Wir geben uns ein letztes Mal die Hand und sagen auf Wiedersehen.


Volleyball

Für die warmen Sommertage am Strand hatte ich einen Volleyball gekauft. Der passt natürlich nicht mehr in den Koffer, die Waage zeigt sowieso schon 34 statt der erlaubten 30 Kilogramm an. Wohin mit dem Ball? Ich gehe runter zum Grafikladen neben meiner Haustür. „Fatih, do you want the volleyball?“, frage ich den Designer. „Ah, Laurenz, first I need a garden.“ Das könnte in Istanbul schwer werden. Ich überrede ihn, den Ball trotzdem anzunehmen. „Okay, but then we make an exchange. I take the ball and you take the bag“, meint er und zeigt auf den Jutebeutel mit dem Slogan „Istanbul. They call it chaos. We call it home“. Ohne Volleyball, aber dafür mit einem neuen Beutel verlasse ich den Laden. Der passt sogar noch ins Handgepäck.


Granate

Markus, Ole und ich fliegen Anfang Juni gemeinsam nach Trabzon, mieten uns dort am Flughafen ein Auto und fahren dann eine Woche lang durch Nordostanatolien. Nach einer Nacht in Bayburt erreichen wir Erzurum, mit 370.000 Einwohnern die größte Stadt der Umgebung. Wir hatten uns zuvor schon ein Hostel ausgesucht, die Zugangsstraße wird aber von der Polizei gesperrt. Also versuchen wir, von der anderen Seite durchzukommen. Auch dort stehen zwei Polizisten und schicken alle Autos wieder zurück. Ich erkläre einem der beiden, dass wir zum Hotel Ipek möchten. Er meint, dass wir eine Seitenstraße nehmen können. Wir biegen links ab und fahren durch eine enge und heruntergekommene Gasse. Hier sind wir das einzige Auto und stranden auf einmal in einer erregten Menschenmenge. Jugendliche verhüllen ihre Gesichter mit Tüchern, halten Baseballschläger und Holzplanken mit Nägeln in den Händen. Steine liegen auf dem Boden. Und mittendrin sitzen wir. Drei deutsche Erasmusstudenten mit schwarzen Sonnenbrillen im weißen Citroen-Leihwagen. Aus den Boxen kommt ein Duett von Kanye West und Rihanna. Schnell machen wir unsere Fenster hoch. Ich versuche, das Auto langsam durch die aggressiv wirkenden Menschen zu steuern. Es gelingt. Wir kommen wieder auf die Straße, die zum Hostel führt und die eigentlich von der Polizei abgeriegelt ist. Ha, sind wir ja einfach an der Sperrung vorbeigefahren, freuen wir uns. In der Sekunde fliegen zwanzig Meter vor uns Steine über die Straße, Menschen rennen panisch auf unser Auto zu, ein Wasserwerfer verfolgt ihren Weg, Polizisten schießen mit Tränengas. „Oh, lass mal besser umdrehen“, sagt Ole. Vergeblich versuche ich zu wenden. Plötzlich fliegt eine kleine schwarze Gasgranate unter unseren Wagen und explodiert. „Ole, mach die Klimaanlage aus!“, brüllt Markus von hinten. Das Tränengas findet durch die Lüftungsschlitze langsam seinen Weg ins Auto. Ole drückt jeden Knopf auf der Mittelkonsole, aber nicht den zum Ausschalten der Klimaanlage. Wir halten unsere Shirts vors Gesicht, der Reiz ist sofort spürbar. Markus navigiert mich durch die hektisch rennenden Menschen in eine kleine Nebenstraße und wir finden einen Weg raus aus dem Chaos, vorbei an einem brennenden weißen Transporter. Mittlerweile hat Ole den richtigen Knopf für die Klimaanlage gefunden. Aus den Boxen kommt noch immer Rihannas Stimme. Wir wählen ein Hostel am anderen Ende der Stadt, parken das Auto und trinken literweise Tee in einem Hinterhof.

(Erzurum ist nationalistisch-konservativ geprägt. An dem Tag, drei Tage vor der Wahl, war in Erzurum eine Wahlkampfveranstaltung der pro-kurdischen Partei HDP, auf der auch Spitzenkandidat Selahattin Demirtas geredet hat. Hierzu kamen etwa tausend Faschisten, um nationalistische Parolen zu skandieren und die HDP-Versammlung gewalttätig anzugreifen. Die Polizei ist eingeschritten. Es kam zu mehreren Auseinandersetzungen und einem Todesfall: http://www.hurriyet.com.tr/gundem/29192158.asp)

 


Wassermelone

Um 21:45 Uhr türkischer Zeit ist Anpfiff. Das Champions-League-Finale zwischen Juventus Turin und dem FC Barcelona beginnt in einer Stunde. Markus, Ole und ich laufen durch das verregnete Artvin, um vorher noch etwas zu essen. Doch in dem kleinen Ort haben die meisten Läden schon zu oder sind sehr teuer. Also suchen wir weiter und finden über einem bereits geschlossenen Einkaufszentrum ein offenes Kebab-Restaurant. Es ist leer. „Yemek var mi?“, fragen wir. „Var“, sagt der Kellner, der wohl auch der Besitzer ist. Wir setzen uns. Noch 30 Minuten bis zum Anpfiff. Wir bestellen Dana Kebab. Wo gucken wir eigentlich gleich Fußball? Da finden wir schon was, beruhigen wir uns gegenseitig. Schließlich will ja eh jeder das Spiel gucken. Das Essen kommt, wir beeilen uns etwas. Noch 15 Minuten bis zum Anpfiff. Wir möchten zahlen, stehen unhöflicherweise sogar schon auf. Der freundliche Besitzer kommt, bittet uns jedoch, wieder Platz zu nehmen. Machen wir. Noch zehn Minuten bis zum Anpfiff. Da bringt seine Frau einen großen Teller mit Wassermelone zu unserem Tisch. Ein Geschenk von ihm, sagt der Kellner. Will er denn gar nicht selber das Spiel sehen? Wir bedanken uns herzlich, unterhalten uns kurz mit ihm über unsere Tour und essen den leckeren Nachtisch. Fast vergessen wir die Zeit. Fast. Noch eine Minute bis zum Anpfiff. Wir verabschieden uns, suchen eine Bar und sitzen dann mit drei Türken bei Bier und Raki vor dem Fernseher.


Verhandlungssache

Nach der eher angespannten Ankunft in Erzurum suchen wir ein Zimmer für die Nacht und haben die Wahl zwischen dem Drei-Sterne-Hotel Dilawer oder der Pension Şahin daneben. Wir entscheiden uns für die billigere Variante, treten in den Hauseingang unter dem blau-weißen Schild „Şahin Pansiyon“ und laufen durch den mit Teppich ausgelegten Hausflur. Niemand ist zu sehen. „Merhaba?“, frage ich vorsichtig. Keine Reaktion. Links ist ein kleines Zimmer mit einem Tisch, der nach Rezeption aussieht. Nicht besetzt. Nur der Fernseher läuft. „Merhaba“, sagt Ole laut. „Merhaba“ kommt von der anderen Seite des Tisches zurück. Da sitzt also doch wer. Ich gucke über den Tisch und schaue in die Augen von einem zwölfjährigen türkischen Jungen, der auf einem Bürostuhl sitzt. Abwechselnd klickt er bei Facebook rum oder spielt ein Online-Fantasy-Spiel. Ob es einen Raum für drei gibt, frage ich ihn. Gibt es. 60 Lira für alle. „Ögrenci indirim?“, frage ich ihn. Studentenrabatt? „Tamam. Elli.“, sagt der junge Hotelmanager. Und wendet sich wieder dem Online-Spiel zu. Fünfzig Lira. Vorsichtig fragt Ole, ob es morgens Frühstück gibt. Da muss auch der Manager lachen. „Yok“ sagt er, grinst uns an und kassiert direkt das Geld. Dann gibt er uns den Zimmerschlüssel.


Flut

Durch Yusufeli fließt der Coruh River, laut Reiseführer bestens für Rafting geeignet. Abends laufen Markus, Ole und ich durch den kleinen Ort und suchen das Büro von Salih Aydin, der wohl die Raftingtouren organisieren soll. Vor dem Teehaus neben uns sitzen mehrere ältere Männer und spielen Backgammon. Ob sie wissen, wo Salih Aydin ist, fragen wir sie. Sofort greift einer von ihnen zum Handy. In fünf Minuten sei er da. Erst spricht uns aber noch Cumhur an. Er ist etwa 30 Jahre alt und arbeitet für Salih. Gemeinsam trinken wir erst einmal einen Tee. Dann kommt Salih dazu. Der Fluss ist momentan sehr unruhig und er hat kaum Guides, die bei der Strömung fahren wollen, meint er. Sei aber kein Problem. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen. Mit Cumhur gehen wir dann noch Bier und Raki trinken. Er ist tatsächlich der Cousin von Serdar Tasci, einem Fußballspieler, der während seiner Zeit bei Stuttgart einer meiner Helden war. Tasci ist in dem kleinen Ort natürlich überall bekannt. Leider wird es Yusufeli aber in drei Jahren nicht mehr geben. Dann wird ein riesiger Staudamm zur Energiegewinnung eröffnet und die Region geflutet. Die Einwohner werden in höher gelegene Gebiete umquartiert, erzählt uns Cumhur. Jegliche Proteste waren umsonst.


Teefabrik

Rize ist die Hauptstadt des türkischen Tees. Überall gibt es Teeplantagen und der städtische Fußballverein wird von der größten Teefirma des Landes gesponsert. Wenn wir schon einmal hier sind, wollen wir auch sehen, wie der Tee hergestellt wird. Also fahren wir etwas Richtung Osten und halten vor der größten Teefabrik der Umgebung. Am Eingang empfängt uns die Security. Wir sind deutsche Studenten aus Istanbul und würden gerne mal sehen, wie denn eigentlich der Tee gemacht wird, sagen wir. „Hoş geldiniz“, empfangen uns die Männer freundlich. Herzlich Willkommen. Wir sollen kurz warten. Dann kommt eine etwa dreißigjährige Türkin auf uns zu, die als Ingenieurin dort arbeitet. Sie führt uns eine Stunde lang geduldig durch jeden Teil der Fabrik und erklärt in gebrochenem Englisch den Weg der grünen Teeblätter von den Lastwägen bis in die Kartonverpackung. Zum Abschluss bekommen wir jeder eine große Tasse Tee, verabschieden uns herzlich und fahren Richtung Trabzon. Nun mit dem Wissen, welche Prozesse hinter jedem einzelnen Cay stecken.


Abschied

Jede Fährenfahrt zwischen Europa und Asien hat etwas Magisches. Also fahre ich am letzten Abend noch ein Mal von Karaköy nach Kadıköy. Kaufe dort Gewürze als Mitbringsel ein, rauche mit Freunden eine Nargile, trinke Tee und fahre wieder zurück nach Europa. Auf der Dachterrasse sitzen wir ab Mitternacht für zwei Stunden zusammen und stranden sogar noch in einem Club. Um drei Uhr verabschiede ich mich von den anderen: „I have to go to Germany now.“ Dann laufe ich die Istiklal runter nach Hause, umarme meinen Mitbewohner und verlasse mit Übergepäck und Wehmut die Wohnung. Alles endet am Havatas.