wood ’n’ stones

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Unterwegs am Bosporus Geschichten aus Istanbul

Taksi vom Taksim IV

Ole feiert Geburtstag auf seiner Dachterrasse. Florenci aus Spanien hat selbstgemachte Tortilla mitgebracht. Und Hunger. Deshalb schlägt er vor, die Tortilla gar nicht erst in der Wohnung abzustellen und verputzt auf der Dachterrasse gleich die Hälfte. Schmeckt aber halt auch gut. Mit Blick auf den Bosporus stoßen wir mit Ole an und essen Schokoladenkuchen. Dann wollen wir in einen Club. Paolo aus Italien hat ein bisschen zu viel Schnaps getrunken, für ihn ist die Partynacht bereits zu Ende. Basti und ich müssen ihn nach Hause bringen. Wir halten ein Taxi in der Nähe vom Taksim an. Basti steigt vorne ein. Ich sitze hinter ihm, Paolo in der Mitte. Als ich bei Google Maps die Route verfolge, sehe ich, dass unser Taxifahrer erst einmal komplett in die falsche Richtung fährt. Ich versuche ihm von hinten mehr oder weniger freundlich klarzumachen, dass wir darauf keinen Bock haben. Er grummelt etwas. Meine Verhandlungsposition verschlechtert sich allerdings rapide, als Paolo auf einmal seinen Kopf nach links neigt und ins Taxi bricht. Sofort hält der Taxifahrer an. Auf offener Fahrbahn. Steigt aus, reißt die hintere Tür auf, nimmt Paolos Kopf und hält ihn fluchend nach draußen. „Sorry“, jault Paolo nur. Eine Minute später geht es weiter Richtung Osmanbey. Die Stimmung im Taxi ist nun etwas angespannt, den Ruf von Erasmusstudenten haben wir beim Taxifahrer nicht verbessert. 50 TL extra will er beim Aussteigen wegen des Zwischenfall. Wir handeln ihn auf 30 TL und bringen Paolo ins Bett. Dann nehmen wir ein Taxi zurück zum Taksim. Niemand muss brechen, wir zahlen 8 TL und gehen in den Club.


Anreise

Zum ersten Mal wird in Istanbul ein ATP-Turnier veranstaltet. Als Zugpferd geht Roger Federer an den Start, seine Antrittsgage liegt bei etwa 1,5 Millionen Euro. Ein Ticket kostet umgerechnet 13 Euro. Die „Garanti Koza Arena“ steht in einem großen Sportpark am äußeren Stadtrand, der momentan noch eine einzige Baustelle ist. Während in Deutschland wahrscheinlich drei oder vier Konzepte zur Verkehrsanbindung aufgestellt worden und der Weg an jeder Metro-Station ausgeschildert worden wäre, hilft hier das Prinzip „Fragen“. Wir fahren mit dem Metrobus nach Avcilar. „Garanti Koza Arena’ya?“ Von drei Leuten erhalte ich drei Antworten: „Walk“, „Metro back“ oder „Bus“. Schließlich nehmen wir einen Dolmus in Richtung Arena, müssen dann neben der Autobahn über eine Wiese laufen und kommen schließlich nach zweieinhalb Stunden Anreise beim Turnier an. Abends ist nicht mehr so viel Verkehr, die Rückfahrt dauert nur zwei Stunden.


Doppel

Highlight beim Tennisturnier ist nicht das Spiel von Federer gegen Nieminen, sondern ein Doppel auf dem Nebencourt. Zwei Österreicher spielen gegen einen Serben und einen Moldawier. Der Druck auf die Favoriten aus Österreich steigt und einer der beiden ärgert sich über mehrere Fehlentscheidungen hintereinander. „Are you blind or what? The ball was in the middle of the field!“, brüllt er den türkischen Linienrichter mit seinem Akzent an. Der guckt nur kurz hoch und konzentriert sich dann wieder auf die Linie.


1. Mai

Tag der Arbeit. Und wie in Deutschland Tag der Demonstrationen. Bereits Mittwoch stehen überall Absperrgitter in der Innenstadt. Freitag sind dann der Taksim und die Istiklal komplett abgeriegelt. Auf Twitter und den Seiten der türkischen regierungsfernen Zeitungen lese ich morgens von schweren Ausschreitungen in Besiktas. Das sind etwa fünfundzwanzig Minuten zu Fuß von meinem Bett. Ich treffe mich mit Tim, wir wollen immerhin in Richtung Istiklal gehen. An jeder Ecke stehen etwa zehn Polizisten. Uns lassen sie auf die Istiklal, weil wir freundlich auf Englisch fragen. Wo sonst um die Uhrzeit Tausende Menschen aneinander vorbei strömen, sieht man nun vereinzelt Touristen mit Rollkoffern, Wasserwerfer und Polizisten. Istanbul ist eine Geisterstadt. Fünf Kellner nutzen den freien Platz und spielen Volleyball auf der Straße. In den wenigen offenen Cafés sitzen ausschließlich Polizisten. Sie gucken gelangweilt auf ihre Handys und trinken Tee. Einen Tag später sind die Gitter weg und auf der Istiklal sind wieder Menschenmassen unterwegs.


Neun-Achtel-Takt

Giulia hat mich bei Facebook zu irgendeinem Event mit über tausend Teilnehmern eingeladen. „What’s this?“ – „A gypsy festival with music.“ Na gut. Nach dem Sprachkurs machen sich Ole, Markus und ich also auf die Suche nach dem Festival in Fatih. Ich zeige zwei Kioskbesitzern die Facebook-Veranstaltung. Alle wissen Bescheid: „Festival? Behind Sultanahmet Cami“. Tatsächlich finden wir es dann. Das gesamte Viertel ist voller Menschen. Jeden Alters. Jeder Nationalität. Niemand kann einen halben Meter unberührt gehen. Die Istiklal an einem Samstag Nachmittag ist dagegen ein einsamer und ruhiger Ort. Alle zehn Meter stehen Kühlschränke, an denen junge Türken Bier verkaufen. Der Duft von Köfte und Sucuk liegt über der Menschenmenge, an den aufsteigenden Rauchwolken lassen sich mittendrin kleine Grills erahnen. Wir ergattern ein Bier und wagen uns in die Menge. Von allen Seiten kommt Musik. Kleine Musikergruppen, meist zwei Männer mit Trommel und einer mit Flöte, bahnen sich ihre Wege durch die tanzenden Menschen und versuchen dabei, möglichst laut zu sein. Das gelingt ihnen. Die Stimmung ist einmalig. In dem Getümmel treffen wir noch ein paar Erasmus-Freunde und gemeinsam mit einigen Türken tanzen wir im Kreis zu den uns fremden Rhythmen. Ein Türke will, dass wir uns auch mal am Schellenkranz versuchen. Markus gibt sein Bestes, aber der Türke will einen besonderen Takt von ihm. „Nine eight“, erklärt er. Markus grinst, schüttelt ein paar Mal den Schellenkranz und gibt ihn dann wieder zurück. „Too difficult.“ Musizieren zu den Rhythmen fällt uns schwer. Rumzappeln und Bier trinken geht aber sehr gut.


Wünsche

Weil sich vor langer Zeit am 5. Mai zwei Propheten getroffen haben, ist in Fatih abends ein riesiges „Gypsy Festival“. Was man sich an diesem Abend wünscht, soll Wirklichkeit werden. Unsicher ist bei uns Erasmusstudenten nur die richtige Art des Wünschens. Liegt auch daran, dass uns jeder Türke etwas anderes erzählt. Zumindest steht auf einem Platz ein kleiner beleuchteter Weihnachtsbaum. Daneben liegen Zettel mit Stiften. Wenn man sich einmal den Weg durch die Menge gebahnt hat, muss man seinen Wunsch zeichnen. Oder aufschreiben? Ich entscheide mich fürs Zeichnen und nutze Markus‘ Rücken als Unterlage. Ein Kunstwerk. Dann hefte ich den Zettel mit einer goldenen Büroklammer an den Weihnachtsbaum. Mittlerweile brennt mitten auf der Straße auch ein Lagerfeuer. Dem Mythos zufolge muss man nach dem Zeichnen drüber springen. Oder davor? Ich springe danach. Auf dem Rückweg unterhalten wir uns über unsere Wunschprozesse. Manche sind erst übers Feuer gesprungen, haben dann den Wunsch aufgeschrieben und reden noch irgendetwas von einer vergrabenen Rosenblüte, die ganz wichtig fürs Gelingen ist. Glaube ich nicht. Wir werden ja sehen, wessen Wünsche wahr werden.


Besuch

Verbringt man als Erasmusstudent mehrere Monate im Ausland, vermisst man bestimmte Speisen oder Getränke aus der Heimat. Deshalb kriegt jeder Besuch im Vorfeld einen klaren Auftrag, was er bitte mitbringen soll. Loris war zwischendurch eine Woche daheim in Frankreich und hat einen eigenen Koffer nur mit Essen nach Istanbul zurückgenommen. Highlight ist eine prachtvolle Schinkenkeule. Daniele hatte vor einer Woche Besuch von seinem Bruder aus Genua, der ihm „wahre“ Pasta, Pesto und Schinken aus Italien mitgebracht hat. Während sich Italiener und Franzosen also Essen aus der Heimat einfliegen lassen, wünschen sich deutsche Erasmusstudenten Alkohol. Der ist hier nämlich teuer.


Aperitif

Weil ihm sein Bruder „richtige“ Pasta und weitere Zutaten aus Genua mitgebracht, lädt Daniele drei italienische Freunde, Markus und mich zum Abendessen ein. Wir sitzen im Wohnzimmer und trinken Wein, während Elina und Giulia sich freuen, endlich „italienisch“ kochen zu können. Elina bringt dann für jeden einen ordentlichen Teller Spaghetti mit Pesto und Parmesan. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie schmeckt es um einiges besser als die Nudeln mit Ketchup, die ich häufig zaubere. Gut gesättigt sitzen wir zusammen und unterhalten uns. Kurz darauf bringt Elina aus der Küche für jeden einen mächtigen Teller Spaghetti Carbonara. Ich sage, dass ich leider gesättigt bin und ja schon einen großen Teller Nudeln gegessen habe. „No Laurenz, the first was just aperitivo“, sagt Elina erstaunt. Na okay. Mit Markus‘ Hilfe wird mein Teller mit der Hauptspeise dann doch leer. „So, now dessert. Who wants spaghetti polenta?“, fragt Elina.


Wahre Fans

Ismail aus Holland ist großer Fan von Galatasaray Istanbul und überzeugt Ole, Serkan und mich, mit zum Pokalhalbfinale gegen Sivasspor zu kommen. An der Metrostation kaufen Ole und ich noch rot-orangene Schals und bahnen uns dann den Weg durch ein Wohngebiet zur Autobahn, an der das Stadion liegt. Unsere Plätze sind in der dritten Reihe, direkt am Spielfeld. Sivasspor geht unerwartet mit 1:o in Führung. Zehn Minuten später trifft Galatasaray zum Ausgleich. Der einzige Kameramann, der am Spielfeldrand positioniert wurde, steht direkt auf unserer Höhe und dreht die Kamera auf uns. Bilder von jubelnden Fans werden gebraucht. Also reißen wir die Schals in die Höhe und singen. (Das Video sieht man hier -Sekunde 32.) Eigentlich schlagen unsere Herzen ja für Besiktas, aber als Erasmusstudent darf man da nicht so genau sein. Istanbul ist Istanbul.


Sonnencreme

Um auch die Strände an der türkischen Südküste zu sehen, reisen wir als große Erasmus-Gruppe nach Fethiye. Direkt am ersten Tag liegen wir am Strand und schwimmen im Mittelmeer. Während sich die deutschen Studenten jede Stunde eincremen und teils sogar unterschiedliche Cremes mit verschiedenen Lichtschutzfaktoren für verschiedene Körperstellen nutzen, verzichten Italiener und Spanier ganz auf den Sonnenschutz. Giovanni und Florenci sind daher die ersten mit Sonnenbrand. Am nächsten Tag bietet ihnen jemand am Strand Sonnencreme an. Aber: „I never use sun screen. I don’t need it.“

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