wood ’n’ stones

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Unterwegs am Bosporus Geschichten aus Istanbul

Hamam

Martin und Philipp sind aus Hannover zu Besuch. Samstag regnet es. Perfektes Wetter, um die türkische Badekultur kennenzulernen. Also machen wir drei uns auf den Weg zum „Büyük Hamam“ in Kasimpasa. Mitten in einer kleinen Straße mit Cafés erscheint das Eingangstor. Wir gehen rein. Und werden direkt von drei älteren Türken gemustert, die nur mit notdürftig umgebundenen Handtüchern direkt im Eingangsraum sitzen. Wir ziehen uns Badeschlappen an, kriegen Handtücher und werden jeder in eine kleine Umkleidekabine geschoben. Als ich rauskomme, sind Philipp und Martin nicht mehr zu sehen. „Eh, my friends?“, frage ich einen Türken, der dort arbeitet. Englisch versteht er aber nicht. „Arkadaslar?“, versuche ich. Er nickt und führt mich durch zwei Gänge zu einer Sauna. Philipp und Martin sitzen schon hier in ihren Handtüchern und schwitzen. Sehr. Im zentralen Raum aus Marmor begießen wir uns danach mit lauwarmen Wasser. Jeder von uns wird hier von einem Türken abgeholt. Meiner ist etwa sechzig Jahre alt und hat einen wirklich außergewöhnlich prächtigen Bauch, der diesen Namen auch verdient. Mit einem Schwamm wie Schmirgelpapier werde ich von ihm „geschrubbt“. Danach lege ich mich auf den heißen Stein in der Mitte des Hamams, während er zur Seife greift. Es folgt eine kräftige Massage. Da liege ich also in Istanbul und lasse mich von einem älteren Mann im Handtuch ordentlich durchkneten. Ich drehe den Kopf zur Seite. Philipp liegt schräg gegenüber. Wir grinsen uns an. Von Martin ist nichts zu sehen.


Paul

Jeder Erasmusstudent muss einen Termin beim Polizeipräsidium machen, um die Aufenthaltsgenehmigung, Residence Permit, zu bekommen. Man braucht viele verschiedene Dokumente, die zum Beispiel belegen, dass man in der Türkei versichert ist. Morgens um 10 Uhr sitze ich also gegenüber von einem etwa dreißigjährigen Polizisten. Ein wenig angespannt, da es nun in seiner Hand liegt, ob ich die Bürokratie endlich hinter mir lassen kann oder wie einige andere noch einmal herkommen muss. Er blättert mit grimmigen Blick durch meine Papiere. Und zeigt auf meinen Namen: „Laurenz Paul Martin. Long name. Very long.“ – „Yes, but my friends just call me Laurenz.“ Er versteht kein Englisch, also misslingt die Konversation. Ihm gefällt allerdings der Name „Paul“ besser als Laurenz. So ruft er zwei Mal laut „Paul“ durch den Raum und guckt mich dann ernst an. „Your documents, Paul…“ – „Yes?“ – „Paul… very good. Number one“, sagt er und zeigt mit dem Daumen nach oben. Er stempelt die Papiere und ich habe meine Residence Preit.


Ständchen

Mein Mitbewohner hat über die letzten zwei Monate ein Theaterstück inszeniert. Ich fahre zur Premiere auf die asiatische Seite. Während des Stücks verstehe ich zwar relativ wenig, aber interessant ist es trotzdem. Danach gehen wir noch essen in Kadiköy. Um zwölf hat er Geburtstag. Weil wir aber beide müde sind, steigen wir um viertel vor zwölf in den Dolmus, ein Sammeltaxi, das uns auf die europäische Seite fährt. Um kurz vor zwölf frage ich die vier englischen Touristinnen auf der Rückbank, ob sie ein kleines Ständchen mitsingen würden. „Yes.“ Also singen wir um zwölf Uhr laut „Happy Birthday“ im sonst stillen Dolmus. Der bereits eingenickte Türke neben mir wacht erschreckt auf und guckt mich irritiert an. Beim abschließenden Geburtstagsapplaus klatscht er dann sogar zaghaft mit.


Ostern

Es ist Ostern. Keinen einzigen goldenen Lindt-Hasen gibt es in der Stadt, kein feierliches Glockenläuten am Morgen. Charlotte hat dennoch zum Osterfrühstück auf ihre Dachterrasse eingeladen. Wir sitzen auf Decken um ein großes Buffet. In der Ferne sind die Hagia Sophia und die Sultanahmet-Moschee zu sehen. Christophs Eltern haben ihm Lebensmittelfarbe mitgebracht, sodass einige bunte Eier zwischen Sesamringen, Paprika und Menemen liegen. Markus und ich schlagen ein blaues gegen ein rotes Ei, während der Ruf des Muezzins beginnt. Das rote hat zuerst eine Delle.


Hardrock

Wir, sechs Kerle, gehen zum Basketballspiel von Fenerbahce Istanbul gegen Emporio Armani Milano auf der asiatischen Seite. Danach fahren wir ins Zentrum von Kadiköy, um noch ein Bier zu trinken. Erst geht noch alles problemlos. Im „Karga“, das an das „Drei Besen“ von Harry Potter erinnert, sitzen wir entspannt in der Runde und warten auf die beiden Weasley-Brüder. In meinem Reiseführer steht, dass das „Arkaoda“ daneben auch besonders sein soll. Nächstes Ziel ist also die Nachbarbar. Vielleicht liegt es an unserer geballten Maskulinität. Vielleicht aber auch daran, dass ich mit meinem blauen Mammut-Skianorak voranschreite, weil meine andere Jacke gerissen ist. Zumindest schütteln die beiden Türsteher mit dem Kopf, als sie uns erblicken: „Too late.“ Es ist gerade erst halb eins. Ich versuche noch zu diskutieren, aber dieses Mal liegt es wohl nicht nur an der Sprachbarriere, dass wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Ist ja nicht so, dass wir hier auf eine Bar angewiesen wären, denken wir, und steuern direkt gegenüber aufs „Dunia“ zu. Vielleicht hätte ich mich dieses Mal mit der Touristen-Signaljacke nach hinten stellen sollen. Auch hier haben wir keinen Erfolg. Ich erinnere mich, von einer Hardrock-Bar in derselben Straße gelesen zu haben. Wir laufen also zum „Cingir“. Sofort werden wir herzlich hereingebeten. Gibt uns aber nicht zu denken. Wir sitzen im Untergeschoss am letzten freien Tisch, hören ACDC und trinken Bier. Warum eine Stunde später ein fast unberührter Schokoladenkuchen mit Kerzen auf dem Tisch steht, ist eine längere Geschichte. Nur so viel: Es gibt eine Gabel für den ganzen Laden. Das ist uns aber egal.


Friseur

Nach sechs Wochen in der Türkei ist es an der Zeit. Die Frisur muss wieder in Form gebracht werden – also brauche ich einen Ersatz für Jovan vom Goethekreisel. Es passt sich gut, dass Martin und Philipp gerade da sind und auch türkische Friseurerfahrung sammeln wollen. Oder besser von mir überredet wurden, dass sie es wollen. Also stolpern wir drei zum ersten Kuaför, den wir in Galata finden. Der Türke kann zwar nur begrenzt Englisch, aber er nickt, als ich „not too short“ sage. Während ich auf dem schwarzen Ledersessel sitze und im Spiegel aufmerksam jeden Schnitt verfolge, sitzen Philipp und Martin hinter mir auf dem Sofa, trinken Tee und machen Witze über mögliche neue Frisuren. Aber der Kuaför versteht sein Handwerk. Ich habe noch nie jemanden so schnell die Schere nutzen sehen. Dann lehne ich meinen Kopf zurück und er rasiert mit scharfer Klinge den Bart. Als Höhepunkt der Prozedur brennt der Kuaför meine Ohrenhaare weg, von denen ich noch nicht mal wusste, dass die existieren. Martin und Philipp sind danach dran. Philipps Haare sind nun glatt und er ist der einzige, der den Friseurbesuch am liebsten wieder rückgängig machen würde. Locken mochte der Kuaför wohl nicht allzu gerne.


Stromausfall

Nach dem Sprachkurs gehe ich abends noch zum Syrer, der die besten Falafel der Stadt verkauft. Ich sitze oben im dritten Stock und warte auf den Dürüm. Plötzlich geht das Licht aus, es ist stockdunkel. Der letzte Stromausfall vor zwei Wochen dauerte sieben Stunden, also bin ich auf alles gefasst. Draußen sind schon die Sirenen zu hören. Der Kellner kommt die Treppe hoch, lächelt uns Gästen zu und stellt eine kleine Kerze auf den Schrank. Zwei Minuten später bringt er den Dürüm. Türkisches Candlelight-Dinner. Oder besser syrisches Candlelight-Dinner. Eine halbe Stunde später ist der Stromausfall vorbei und der Dönerspieß im Erdgeschoss dreht sich wieder.


Taksi vom Taksim III

Tim und ich treffen uns am Taksim, um zum Theaterstück von Serkan zu fahren. Serkan war damals Regieassistent am Schauspiel Hannover und arbeitet jetzt als freier Regisseur in Istanbul. Weil wir spät dran sind, wollen wir uns ein Taxi nehmen. Wir steigen in das erste der Reihe ein. Und der Taxifahrer ist ein alter Bekannter. „To Dot tiyatro“, sage ich. „Können wir deutsch reden?“, fragt er. Er ist der Taxifahrer, der mich am ersten Abend in Istanbul vom Taksim zu meiner Wohnung gefahren hat. Bevor wir darüber reden können, sind wir schon da. Nächstes Mal.


Hausaufgaben

Es ist Mittwoch Mittag und in zwanzig Minuten beginnt mein Sprachkurs. Ich stehe beim Syrer und warte auf meinen Falafeldürüm zum Mitnehmen. Mir fällt ein, dass ich die Hausaufgaben noch nicht gemacht habe. Da die Falafel eh noch im heißen Wasser kochen, hole ich mein Heft aus der Tasche und lege es auf den Tresen. Klassische Aufgabe: Satzteile zuordnen. Leider habe ich ein paar Vokabeln vergessen, die Zuordnung läuft nicht ganz flüssig. Und bald beginnt der Kurs. Ich drehe das Heft um und frage den syrischen Falafelspezialisten mit Gesten, ob er mir helfen kann. Er grinst, nimmt meinen Kuli und ordnet die Sätze in zwanzig Sekunden einander zu. Dann ist mein Dürüm fertig und ich gehe zum Sprachkurs. Ohne schlechtes Gewissen, immerhin habe ich die Hausaufgaben. Im Klassenraum vergleichen wir die Übung. Von acht Satzpaaren stimmt bei mir kein einziges.


Vorgestellt

Seit zwei Monaten hole ich mir jeden Tag einen frisch gepressten Orangensaft beim Pide-Laden gegenüber. „Bir medium portakal suyu lütfen“ muss ich schon gar nicht mehr sagen. Nicken reicht.  Mit den Männern rede ich dann auf gebrochenem Türkisch über das Wetter, Fußballspiele oder das Wochenende. Heute Abend bin ich wieder da und bestelle einen Saft. Während des Pressprozesses denke ich, dass es mittlerweile eigentlich Zeit wäre, sich vorzustellen. „Adin ne?“, frage ich den etwa 50-jährigen Türken. Er strahlt. „Murat! Adin ne?“ – „Laurenz. Memnun oldum.“ Wir geben uns der Form halber die Hände. Als ich ihm danach die 3 TL für den Saft geben will, winkt er ab. „Today no, Lavren.“

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