wood ’n’ stones

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Unterwegs am Bosporus Geschichten aus Istanbul

Blauer Fleck

Der Verkehr in Istanbul ist ein einziges Chaos. Fußgängerampeln sind reine Zierde. Überall laufen die Türken vor die fahrenden Autos, die dann wie von Geisterhand direkt abbremsen, hupen und danach sofort beschleunigen. Keine Unfälle. Kann ich auch, dachte sich mein deutscher Freund Tim. Und hat jetzt einen blauen Fleck an der Hüfte.


Stellenwert des Handballs

Besiktas Istanbul spielt in zwei Wochen zu Hause gegen den FC Liverpool. Mit sechs Erasmus-Freunden gehe ich daher zum Stadion, um Tickets zu kaufen. In einem kleinen Raum daneben stehen Tische in einem Viereck, an denen Mitarbeiter in unserem Alter an Computern sitzen. Wir müssen unsere Passnummern vorlegen und zahlen 40 TL für eine Stehplatzkarte. Ole und ich wollen zusätzlich noch Handballkarten für Besiktas Istanbul gegen FC Barcelona kaufen. „Hentbol“, ruft der Verkäufer durch den Raum. Ein anderer Mitarbeiter steht überrascht auf, setzt sich an seinen Computer und druckt uns Tickets aus. Passnummern werden nicht gebraucht. Ein Ticket für das Handballspiel kostet fünf Lira. Eine Cola im Restaurant kostet sechs Lira.


Facebook

Einen Tag nach meiner Ankunft erhalte ich bei Facebook direkt eine Freundschaftsanfrage. Von einer – den Fotos nach zu urteilen – sehr hübschen Türkin. Burcu Aras. Dabei habe ich bisher nur mit meinen deutschen Freunden und meinem Mitbewohner kommuniziert. Aber gut, Bill ist ein gemeinsamer Freund. Vielleicht ist das ja seine türkische Mitbewohnerin, denke ich und nehme die Anfrage an. Ist sie nicht, erklärt mir Bill einen Tag später. Wir rätseln und mittlerweile haben auch Ole und Tim Freundschaftsanfragen bekommen. Den meisten männlichen Erasmusstudenten ist Burcu Aras bereits ein Begriff. Wieder einen Tag später schreibt mich Daria, Erasmusstudentin in Istanbul, an: „Meint ihr die ganze Zeit Burcu Aras? Habe jetzt auch eine Anfrage.“ Das Geschlecht spielt also keine Rolle. Eher der Aufenthaltsort? Am selben Abend kriege ich eine Nachricht von Martin aus Hannover: „Sag mal, kennst du eine Burcu Aras?“


Mein Freund

Wenn ich ein deutsches Handy länger als zwei Wochen in der Türkei benutzen möchte, muss ich es offiziell registrieren lassen. Ich bezahle also 130 TL beim Tax Office und gehe dann wie am Tag vorher von meinem Anbieter Turkcell empfohlen direkt zu einem Turkcell-Shop, um hier weitere 50 TL zu zahlen. Ich setze mich zur Turkcell-Mitarbeiterin an den Tisch, zeige ihr meine Zahlungsbestätigung vom Tax Office und bitte sie um die Freischaltung. 100 TL soll es zusätzlich kosten. Ich versuche ihr auf Englisch zu erklären, dass ich am Tag vorher da gewesen bin und mir als Preis 50 TL genannt worden sind.  Sie schüttelt den Kopf. Ich wirke nun wohl etwas angespannt auf sie. Zumindest ruft sie einen Kollegen hinzu. Der guckt auf die Zahlungsbestätigung, schaut sich mein Handy an und sagt dann: „My friend.“ Erwartungsvoll schaue ich ihn an. „No.“ Wie No? Er sagt erneut: „My friend. No.“ Etwas unbefriedigt verlasse ich den Laden, gehe zu einem anderen Turkcell-Store und lasse dort mein Handy registrieren.


Taksi vom Taksim II

Gegen Mitternacht steige ich mit drei deutschen Freunden in ein Taksi in der Nähe vom Taksim-Platz, um zu einer WG-Erasmus-Feier zu fahren. „How much is it to Sisli?“, fragen wir den Taxifahrer. „Fifteen.“ Elina versucht zu handeln: „No, ten.“ Er: „No, there is a big traffic chaos. Fifteen.“ Zu ihrem Unmut grätsche ich in das Gespräch: „Okay, well, then fifteen is fine.“ Wenn da doch ein Verkehrschaos ist. Die Rückfahrt in einem anderen Taxi kostet dann sechs Lira. Und bei Preisverhandlungen halte ich mich ab jetzt zurück.


Champions League

Wegen des Schneesturms sind Tim und ich abends fast die einzigen, die sich in die Straße mit den Touristenbars begeben. Wir wollen gerne Champions League gucken. Beim dritten Laden wird uns sofort bestätigt: „Yes, yes, Champions League, of course, Chelsea. Paris. Come in.“ Wir werden in den vierten Stock geführt. Hier sind keine Gäste, aber dafür hängen zwei Fernseher an der Wand. Der freundliche Kellner von unten macht einen davon an, findet dann aber nur einen Kanal, auf dem sich Skateboard- und Surfbilder abwechseln. Mittlerweile ist es eine Minute vor Spielbeginn. Wir schauen ihn etwas verwirrt an und fragen vorsichtig nach einem Kanal, auf dem Fußball läuft. „Yes, yes, in one minute they switch to Chelsea.“ Ganz ohne Vorberichte? Von Skateboarding zu Fußball? Ein Kollege von ihm kommt dazu, ändert den Kanal und endlich flimmert Ibrahimovic über den Bildschirm. Wir sind glücklich und bestellen uns ein Bier.


Paket

Ich sitze mit Celal bei einem späten Frühstück, als es an der Tür klingelt. „Do you expect anyone?“, fragt er mich. „No“, sage ich. Es ist der Paketdienst. „Ah, I remember, it’s a package from a friend of mine“, meint Celal und legt es in den Nachbarraum. Wir essen weiter. Ich will gerade aufstehen, um abzuräumen, da holt er das Paket, öffnet es und ruft: „Happy Birthday, Laurenz!“ Ich verstehe gerade gar nichts mehr, aber zumindest fliegen mir zwei Hamam-Handtücher entgegen. „Best wishes from Viktor! Viktor Michnev. Your friend“, ruft Celal. Wir stoßen wir mit unserem Orangensaft nachträglich auf meinen Geburtstag und auf das Geschenk von Viktor und Nicolas an. Grüße aus Pamplona und Örebro nach Istanbul. Der Hamam-Besuch kann kommen.


Köfte

Vor dem Handballstadion verkaufen drei junge Männer Köfte mit Brot. „Kac para?“, frage ich. „Twenty“, antwortet einer. Das ist mehr, als ein Menü im Restaurant kostet. Tim und ich drehen uns um und gehen weg. „Ten“, ruft er lachend hinterher. „Two for fourteen“, sage ich. Er willigt ein und Tim und ich essen Köfte-Sandwiches. Im Stadion kostet das gleiche Essen 6 Lira. Aber es geht voran.


Fanblock

Weil Ole ein großer Handballfan ist, gehen Markus, Tim und ich mit ihm zum Champions-League-Spiel von Besiktas Istanbul gegen den FC Barcelona (Gruppenphase). Das Ticket hat 5 Lira gekostet. Das Spiel ist in einer riesigen Halle mit mehr als 20.000 Plätzen. Vor Ort sind höchstens 5.000 Fans. Obwohl Besiktas bereits sicher ausgeschieden ist, machen die Fans in den gegenüberliegenden Fanblöcken eine unglaubliche Stimmung. Man sieht nur hüpfende Menschen, die sich Wechselgesänge zurufen. 60 Minuten lang. Ohne Pause. Und ohne einen Tropfen Alkohol. Tim und ich gehen für fünf Minuten in einen der Blocks. Nach zehn Sekunden haben wir drei Hände auf den Schultern, umarmen selber wildfremde Türken und rufen „Besiktas, Besiktas“! Auf das Spiel wird hier keinen Moment geachtet. Besiktas bekommt gerade vier Gegentore in Folge, aber gehüpft wird trotzdem.


Überzeugungsarbeit

Drei Schulfreunde aus Hildesheim kommen nach Istanbul zu Besuch. Ich will sie vom Flughafen abholen und stelle mich zu den Leuten, die in der Empfangshalle Schilder mit Firmenlogos, Hotel- oder Personennamen hochhalten. Über eine Stunde stehe ich mit den gleichen Leuten in einer Menge. Vor mir hält ein etwa 50-jähriger Türke im Anzug die gesamte Zeit ein Schild mit „Mr. Carsten Thörner“ hoch. Als ihm irgendwann langweilig wird und kein Carsten Thörner in Sicht ist, versucht er lautstark, die ankommenden Reisenden davon zu überzeugen, dass sie doch eventuell Carsten Thörner seien. Da sein „Thörner“ wie „Döner“ klingt, fühlt man sich wie vor einem Restaurant, das um Gäste wirbt. Besonders verwirrte Blicke erntet er, als er drei Japanerinnen beharrlich mit „Mr. Döner“ begrüßt und auf sein Schild zeigt.